Im März 1917 empfangen Journalisten der Zeitung „Der Sonnensee“ auf dem Mars die Nachricht, die Deutschen verhungerten und der Sieg der alliierten Armeen (England, Frankreich, Russland) stünde kurz bevor. Um dieses Gerücht zu überprüfen, reisen drei Marsbewohner in einem Flugball zur Erde. Sie landen in München, fahren von dort weiter nach Berlin und besichtigen – Deutschland. Aber nicht ein verhungerndes, unter dem Krieg zerbrechendes Volk, sondern eine auf höchstem Leistungsniveau funktionierende Wirtschaft und zufriedene, satt gegessene Deutsche. Was die Marsbewohner sehen, ist eine Fiktion.
Was sehen wir, wenn wir auf Deutschland im Ersten Weltkrieg schauen? Fakten? Fiktionen? Ein unentwirrbares Gemisch von beidem? Die Ausstellung „The making of …“ begibt sich auf die Spuren von Geschichten aus dieser und über diese Zeit – Geschichten, die aus politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen oder auch rein unterhaltungskulturellen Motiven entstanden. Ein Teil davon sind Stimmen und Töne: Auf Schellackplatten gebannt berichten sie über Deutschland, gleichzeitig aber auch über ferne Länder. Denn es gehörte zur deutschen Kriegsstrategie, Solidarität mit dem Islam herzustellen. Das mit dem Deutschen Reich verbündete Osmanische Reich hatte im November 1914 den Jihad, den „heiligen Krieg“ gegen dessen Gegner ausgerufen. Zur gleichen Zeit verfügte Berlin, die kriegsgefangenen französischen und englischen Kolonialsoldaten – Afrikaner und Asiaten muslimischen oder anderen nicht-christlichen Glaubens – sowie muslimische Georgier und Tataren in politischen Sonderlagern nahe Berlin zu internieren. Mit gezielter pro-islamischer Propaganda sollten die Gefangenen dort dazu bewegt werden, politisch zu den Deutschen überzulaufen und sich gegen ihre Kolonialherren aufzulehnen.
In den Kriegsgefangenenlagern in Wünsdorf/Zossen fanden aber auch breit angelegte wissenschaftliche Untersuchungen im Bereich der Anthropologie und Rechtswissenschaft statt. Sprach- und Dialektforscher sowie Musikwissenschaftler stellten in diesen und weiteren Lagern im Verlauf des Krieges viele Hundert Tonaufnahmen mit den „Stimmen fremder Völker“ her, die heute unter anderem im Berliner Lautarchiv erhalten sind (http://publicus.culture.hu-berlin.de/lautarchiv/). Sie sind Ergebnis wissenschaftlicher Fragen, entziehen sich aber zugleich dieser vermeintlich objektiven Kontrolle. Momente der Kritik und der Widerspenstigkeit, des Widerstands und der Ironie machen sie zu persönlichen Dokumenten mit einem unüberdeckbaren Eigenleben.
Einige dieser Tondokumente, ebenso die Propaganda- und Spielfilme, die zwischen 1915 und 1919 mit den Internierten gedreht wurden, entdecken die Marsbewohner in einer Art umgekehrten Ethnografie: Selbst eine deutsche Erfindung, erfinden sie ein Kriegsdeutschland.